Position der IG Metall Küste:
Saubere Energie muss auch gute Arbeit heißen
(06.11.2013) Die IG Metall sieht im Ausbau der regenerativen Energiequellen – insbesondere mit der Windindustrie – in Deutschland in den letzten 20 Jahren einen neu entstandenen industriellen Leitsektor mit einem Umsatzvolumen von über 6 Mrd. Euro und rund 75 Prozent Exportanteil. In der Windenergie arbeiten heute schon 100.000 Menschen, davon 40.000 im Maschinen- und Anlagenbau und deren Zulieferer. Gerade der maritime Anlagenbau mit 62 Prozent des Umsatzes in Norddeutschland, aber auch in küstenfernen Regionen (Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern …) ist ein wichtiger Bestandteil der Wertschöpfungskette.
Der geplante Ausbau der Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee ist auch Sicht der IG Metall Küste für die strukturschwache norddeutsche Region, aber auch für die Bundesrepublik insgesamt aus beschäftigungs-, struktur- und industriepolitischer Perspektive eine Jahrhundertchance. Der europäische Windenergieverband EWEA geht davon aus, dass 2015 jeder vierte Arbeitnehmer der Windbranche im Offshore-Bereich tätig ist.
Neue Arbeitsplätze entstehen u.a. durch:
- Planung für Offshore-Windparks (Ingenieure, Geologen …)
- Konstruktion und Bau der Offshore-Windanlagen und Komponenten (Ingenieure, Metall- und Elektroberufe, Mechaniker …)
- Errichtung der Offshore-Windparks und Netzanschluss (Stahlbau, Metall- und Elektroberufe, Berufe für Spezialschiffbau, Starkstrom- und Leitungstechniker)
- Betrieb der Offshore-Windparks (Metall- und Elektroberufe, Leittechnik- und Servicepersonal)
Für die IG Metall Küste steht fest: Die von der Bundesregierung beschlossene Zielsetzung der Energiewende ist ohne den Bereich der Wind- und Offshore-Industrie nicht realisierbar. Somit stellen sich zwei zentrale Herausforderungen:
1. Industrie- und branchenpolitische Zielsetzungen zur Umsetzung der Offshore-Windparks gemeinsam mit den Betriebsräten und Vertrauensleuten in der Wertschöpfungskette der Wind- und Offshore-Industrie voranzutreiben
2. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten in der neu entstandenen Branche zu verbessern.
Die IG Metall setzt sich für eine leistungsstarke und wachsende Windindustrie ein, in der faire Arbeitsbedingungen herrschen. Gerade in der Offshore-Windindustrie sind die Beschäftigten enormen Arbeitsbelastungen, einer erhöhten Unfallgefahr und hohen Anforderungen an ihre Mobilität ausgesetzt. Gute Arbeit, tarifliche Regulierung der Entgelt- und Leistungsbedingungen und betriebliche Mitbestimmung der Beschäftigten müssen selbstverständliche Voraussetzungen in der Windindustrie werden.
Saubere Energie heißt für die IG Metall Küste auch gute Arbeit!
Die Realität Ende 2013 ist mehr als ernüchternd. Die aktuelle Situation im Bereich der Energiepolitik wird von Seiten der Betriebsräte und Vertrauensleute innerhalb der Wind- und Offshore-Industrie als desaströs empfunden. Zwar ist der Atomausstieg von der Bundesregierung beschlossen worden, aber eine plausible Umsetzungsstrategie ist auch über ein Jahr nach der beschlossenen Energiewende und vielen aktuellen Krisen noch nicht erkennbar.
Stichworte sind hier; die fehlende Planungs- und Investitionssicherheit für die Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee, Haftungsfragen beim Netzausbau und Betrieb, Perspektive des Energieeinspeisegesetzes (EEG), Netzanbindung der Offshore-Windparks usw.
Die Leidtragenden dieser politischen Unverantwortlichkeit sind die Beschäftigten in der Offshore-Windindustrie. Ausbleibende Aufträge führen zu Unterauslastung und drohender Kurzarbeit in den Betrieben. Erste Unternehmen gehen – wie jüngst die SIAG Nordseewerke – in die Insolvenz. Die Angst über die Perspektive in der Offshore-Industrie ist unübersehbar.
Darüber hinaus werden „die Macher der Energiewende“ oft mit Arbeitseinkommen abgespeist, mit denen man mehr schlecht als recht über die Runden kommen kann. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der IG Metall (Juni 2013).
Das mittlere Monatsbrutto der Beschäftigten der Windkraft und Solarindustrie liegt danach bei EUR 2.650, bei den Arbeitnehmern der Solarindustrie sogar nur bei EUR 2.400 inklusive aller Zulagen. Rund ein Drittel erzielten deutlich weniger. Insbesondere die Löhne der Produktionsarbeiter fallen stark ab. Deren mittleres Monatseinkommen in der Solarindustrie liegt sogar nur bei EUR 2.050.
Ein Viertel der Produktionsmitarbeiter im Bereich Solar verdient sogar weniger als EUR 1.810 für eine Vollzeittätigkeit. Leiharbeiter erhalten im Schnitt beider Branchen Bruttoentgelte zwischen EUR 1.700 und 2.100. In der Regel handelt es sich dabei um Vollzeittätigkeiten. Selbst diese bescheidenen Einkommen erreichen die meisten Beschäftigten nur, indem sie regelmäßig Überstunden leisten. Mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer in der Windkraft- und Solarindustrie arbeitet im Normalfall durchschnittlich fünf Stunden, teilweise aber auch zehn Stunden und mehr über die individuell vereinbarte Arbeitszeit hinaus. Dabei muss berücksichtigt werden, dass diese Regelarbeitszeit schon vergleichsweise hoch ist. Für knapp die Hälfte sind 40 Stunden die vertraglich vereinbarte Regel. Für ein Viertel gilt die 35-Stunden-Woche. Ein weiteres Viertel liegt dazwischen, die Tendenz geht aber deutlich in Richtung 40 Stunden.
Vergleicht man dies mit den Einkommen in der gesamten Metall- und Elektroindustrie, so liegen diese Einkommen deutlich unter dem Durchschnitt der M+E-Industrie. Diese liegen bei ca. durchschnittlich EUR 3.000 plus entsprechenden Zulagen auf der Basis einer 35-Stunden-Woche.
Etwa die Hälfte der Beschäftigten in beiden Branchen arbeitet im Schichtdienst sowie regelmäßig auch an Wochenenden und Feiertagen. Auch hier sind die entsprechenden Zuschläge in den erfassten Bruttoentgelten bereits enthalten. Dies verdeutlicht, wie niedrig die Basiseinkommen tatsächlich sind. In der Praxis bedeutet das:
Fallen aufgrund von Auftragseinbrüchen Nachtschichten und Sonntagsarbeit weg, wie es gerade in vielen Unternehmen der Fall ist, kann dies für die Beschäftigten heißen, dass sie mit zehn Prozent Geld über den Monat kommen müssen.
Insgesamt ist die Situation der Beschäftigten in der Windkraftindustrie besser als in der Solarbranche. Dies dürfte auch daran liegen, dass es bei Windkraftanlagenherstellern mehr und stärkere gewerkschaftliche Strukturen und eine insgesamt höhere Tarifbindung gibt, vor allem im Bereich der Zulieferer aus dem Maschinenbau. Dennoch liegen auch in der Windkraftbranche die Einkommen immer noch um die 20 bis 30 Prozent unter dem Niveau des Flächentarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie, vor allem weil dort länger gearbeitet wird. Sachlich gerechtfertigt ist dies nicht.
Die neuen Industrien stehen an einem Scheideweg. Die Strategie muss lauten:
Besser statt billiger!
Innovation, Forschung und Entwicklung, Kooperation, Zusammenarbeit und gute Arbeit
statt unsicherer Arbeitsverhältnisse und Lohndumping.
Druckansicht